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HOLYCRAB! im Interview: Mit invasiven Delikatessen für den Naturschutz in der Stadt

© Sebastian Hennigs

HOLYCRAB! ist spezialisiert auf die Herstellung von Lebensmitteln aus invasiven Arten wie beispielsweise Flusskrebse, Krabben und Fisch. Mit seinen innovativen Produktkonzepten wird das Food Start-up vom Essbare-Städte-Netzwerk (Edible Cities Network) im neuen Edible Cities Network Consulting Guidebook als Vorzeige-Initiative der essbaren Stadt hervorgehoben. StartGreen hat mit Jule und Lukas Bosch aus dem Gründungsteam von HOLYCRAB! gesprochen.

Was hat Euch dazu bewegt, HOLYCRAB! zu gründen und welches Team steht hinter der Idee?

Lukas: Wir arbeiten beide seit vielen Jahren als selbständige Innovationsberater, helfen also Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen dabei, ihre Strategien zukunftsfähig zu machen und neuartige Produkte zu entwickeln. Uns liegt also die „Was-wäre-wenn-Denke“ seit jeher nahe. Über einen Zeitungsartikel sind wir 2017 auf das Thema invasive Arten gestoßen. Im Berliner Tiergarten war der Rote Amerikanische Sumpfkrebs zur „Plage“ geworden, breitete sich also aus und drohte, weitere Gewässer zu bevölkern. Da es sich dabei um eine invasive Art handelt, also einen der größten Treiber für das aktuell stattfindende, weltweite Artensterben, musste das unbedingt verhindert werden. Und die Stadt Berlin hat dann ziemlich innovativ gehandelt und einen Fischer installiert, der die Krebse fangen und vermarkten sollte. Da wurden wir hellhörig und haben nachgeforscht, wo man denn die Krebse oder Produkte daraus kaufen könnte, haben aber keine Möglichkeit gefunden. Und dann dachten wir, wenn es sonst niemand macht, warum also nicht wir?

Jule: Als Menschen, die sich mit Zukunft und Trends beschäftigen, war für uns ein ganz besonderer Faktor ausschlaggebend, um zu sagen: das ist zwar absurd, aber genial! Und zwar dreht sich beim Thema invasive Arten der Diskurs rund um die Frage, wie nachhaltiger Konsum funktioniert, einmal komplett auf den Kopf. Würde man herkömmlicherweise sagen, weniger zu konsumieren, insbesondere ja auch weniger Fleisch und Fisch, wäre das Beste, muss man in Bezug auf essbare invasive Arten sagen: je mehr wir davon essen, desto besser! Genuss und Nachhaltigkeit, die sich bisher oft ausgeschlossen haben, kommen also in einem Win-Win zusammen. Noch dazu handelt es sich um Wildfang, also sehr hochwertige Lebensmittel. Und so war die Idee vom „kulinarischen Naturschutz“ geboren.

Was ist Eure Vision? Welchen positiven Beitrag wollt ihr für die Zukunft der Städte leisten?

Jule: Städte werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten enorm von Klima- und Umweltveränderungen aufgrund der Erderhitzung und der Biodiversitätskrise betroffen sein. Im Grunde geht es - mit dem Planetary Health-Ansatz gesprochen - daher um ein holistisches Verständnis davon, was Gesundheit bedeutet. Wir müssen Gesundheit nicht mehr nur auf individueller Ebene begreifen, sondern kollektiv und planetar. Und auch auf der Ebene von Städten funktioniert das: ist eine Stadt gesund, funktionieren ihre Systeme von Bewässerung, Kühlung, Biodiversität, Infrastruktur etc., sind auch ihre Bewohner*innen gesund.

Lukas: Für uns spielen insbesondere Gewässer eine maßgebliche Rolle dabei. Sie können Städte mit Wasser versorgen, kühlen und Orte für Freizeitgestaltung sein. Sie können aber auch ein Hort für Krankheiten werden, wenn bspw. invasive Arten wie die Tigermücke bisher hierzulande zum Glück kaum auftretende Krankheiten in viel höherem Maße verbreiten. Gesunde Gewässer sind ökologisch sehr viel widerstandsfähiger und auch wirtschaftlich performanter, als degradierte. Und so arbeiten wir mit HOLYCRAB! letztendlich nicht allein daran, invasive Arten lecker und zugänglich zu machen, sondern auch daran, gemeinsam mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Institutionen Wege zu finden, Gewässer zu regenerieren und klimafit zu machen. Im Idealfall führt diese regenerative Bewirtschaftung direkt zu einer ökologischen Verbesserung. Auch das dreht unser herkömmliches Verständnis von der zerstörerischen Wirtschaft auf den Kopf. Doch genau da müssen wir hin: Wirtschaftliches Handeln muss nicht nur weniger schlecht für Ökosysteme werden, also zum Beispiel CO₂ und Abfall reduzieren, sondern explizit positiv wirken, also Ökosysteme regenerieren, Gewässerqualität steigern, CO₂ aus der Atmosphäre ziehen, und so weiter. Denn nur so heben wir den Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie endlich auf und erschaffen eine ÖKOnomie, eine Synergie, in der die Akteure sich gegenseitig positiv befördern und nach und nach in eine Aufwärtsspirale geraten.

Jule: HOLYCRAB! ist für all das ein Anfang. In Zukunft werden wir weitere Marken und Produkte auch aus nicht-invasiven Arten entwickeln, die dieses weitergedachte Verständnis von Nachhaltigkeit weiter etablieren und zugänglich machen. Dass diese Art zu wirtschaften nicht allein Sache der Food-Industrie ist, sondern auch in anderen Branchen möglich, zeigen wir in unserem Buch „ÖKOnomie“, das 2021 im Campus Verlag erschienen ist. In diesem Kontext kommt auch unser Hintergrund als Unternehmensberater/in wieder ins Spiel - wie unterstützen Organisationen aus verschiedensten Branchen und Bereichen genau bei diesen Fragestellungen bei dieser essenziellen Arbeit an ihrer eigenen Zukunftsfähigkeit.

Was waren Eure ersten Schritte und wo steht ihr aktuell? Wie hat sich euer Geschäftsmodell im Laufe der Zeit verändert?

Lukas: Im ersten Jahr haben wir auf eine Gastronomielösung gesetzt. Mit einem Foodtruck wollten wir den Berliner*innen ermöglichen, ihr eigenes Ökosystem mit Genuss zu retten. Unser dritter Gründer kam aus der Sternegastronomie und so haben wir den „Berliner Lobster“ zu allerlei hochwertigem Streetfood verarbeitet, aber unter dem Motto “Jeder Gang eine andere Plage” auch Haute Cuisine-Dinner Events veranstaltet. Wir wollten wissen: Was machen die Leute mit einer „Plage“? Immer wieder kamen beispielsweise auch Veganer*innen auf uns zu und wollten mit uns darüber sprechen, ob es mit unserem Ansatz vielleicht sogar sinnvoll sein könnte, Fleisch und Fisch zu essen - zum Schutz unserer Ökosysteme. Genau solche Reflexionen wollten wir erreichen! In der Zeit waren wir viel unterwegs, haben an Wettbewerben teilgenommen (ein paar davon auch gewonnen), Business Caterings gemacht und grundsätzlich auch einfach viele Erfahrungen gesammelt. Dann kam Corona und unser Vertriebskanal war leider absolut nicht für eine Pandemie ausgelegt. Doch wir wären schließlich nicht HOLYCRAB!, wenn wir nicht auch dieses Problem in ein Potenzial verwandelt hätten! Schon vor den Lockdowns hatten wir Handelsprodukte geplant. Nun waren die Umstände mehr als passend, um endlich auch Produkte für den Supermarkt herzustellen und so potenziell sehr viel mehr Menschen zu erreichen, als mit einem Foodtruck - und das haben wir mit einem Partner aus unserem Netzwerk, der Brühenmanufaktur J.Kinski dann auch sehr zeitnah umgesetzt.

Jule: Inzwischen haben wir verschiedenste Brühen herstellen lassen, sowohl aus invasiven Arten als auch im Sinne der Kreislaufwirtschaft aus sogenannten „Nebenprodukten“ der Fischindustrie, also Karkassen, Gräten, Haut, etc. - all das, was bei der Herstellung von Filets übrigbleibt, aber eigentlich extrem aromatisch und voller Nährstoffe ist. Aktuell betreiben wir zusätzlich zum Vertrieb unserer Brühen-Produkte sowie zwei Craftbieren aus invasiven Arten neben dem eigenen Onlineshop einen Fischladen auf der Insel Rügen und arbeiten dort auch am Aufbau unserer eigenen Produktion.

Lukas: Letzteres fußt auf einer Produkt- und Verfahrensentwicklung, die wir während der Pandemie mit Lebensmitteltechnolog*innen vom Fraunhofer Institut vorangetrieben haben. Unser innovativer Verarbeitungsprozess ermöglicht es, kleine Weißfische, die hierzulande häufig in Überpopulationen vorkommen, aber aufgrund von geringer Größe sowie vielen feinen Gräten bislang als industriell schwer verarbeitbar galten, zu leckeren Convenience-Produkten zu machen - ein Fischstäbchen, das Ökosysteme regeneriert. Dabei erweitern wir unseren Fokus vom Thema invasive Arten zum Thema Biodiversität und Gewässerqualität. Die Fische, die wir nutzen, müssten aus wissenschaftlicher Perspektive sehr viel stärker gefischt werden. Doch da wir weltweit vor allem Lachs, Thunfisch und Alaska-Seelachs konsumieren, verlieren wir den Blick - und den Geschmack - für das, was eigentlich regional verfügbar ist. Das wollen wir ändern!

Was waren die größten Herausforderungen auf Eurem Gründungsweg und wie habt ihr diese bewältigt?

Jule: Puh, viele! Angefangen bei der Herausforderung, uns in ein für uns als Nicht-Biolog*innen vollkommen fremdes Thema einzuarbeiten bis hin zur lange erfolglosen Suche nach Lohnproduzenten bis hin zu arbeitskulturellen Themen in einem Team, das sowohl aus Wissensarbeiter*innen als auch handwerklich Arbeitenden besteht und natürlich all das, was alle Start-ups beschäftigt: Finanzierung, Akquise von Mitarbeitenden, Aufbau von Strukturen, Skalierung, etc.

Lukas: Abschließend bewältigen kann man wahrscheinlich die meisten dieser Dinge nie. Vieles bleibt einfach Teil des Tagesgeschäfts, wenn man ein Unternehmen aufbaut. Womit wir aber sehr happy sind, ist der Shift vom Gastro-Start-up zum Händler und Produzent von LEH-Produkten, den wir mit dem Aufbau unserer ersten eigenen Produktionsstätte nun konsequent gehen. Diese Veränderung war und ist vor allem dadurch möglich, dass die Teamzusammensetzung sich geändert hat. Hatten wir zu Beginn mit einem Gourmet-Koch gegründet, war dieser zur Pandemie ausgestiegen, um sich auch aus persönlichen Motiven beruflich neu zu orientieren. Zum Team dazu stieß dafür unser heutiger dritter Gesellschafter Matthäus Marten mit über 15 Jahren Erfahrung im Handel mit Fisch. Das passte perfekt zu unseren Vorhaben, Handelsprodukte herzustellen - und da Matthäus gebürtiger Rügener ist und die Fischszene kennt wie kaum ein anderer, hilft uns das jetzt auch enorm beim Aufbau der Produktion hier.

Viele Initiativen der essbaren Stadt sehen sich mit Herausforderungen in Bezug auf die Finanzierung konfrontiert. Wie sah das bei euch aus?

Jule: Die Finanzierung von innovativen Vorhaben ist immer eine große Frage. Anders als etablierte Unternehmen hat man als Start-up erstmal keine Budgets dafür und auch wir hatten weder einen VC noch einen Bankkredit. Doch wir begreifen HOLYCRAB! und die unternehmerischen Vorhaben generell nicht getrennt von unserer Tätigkeit in der Innovationsberatung. Genauso wie wir anderen Unternehmen dabei helfen, innovative Projekte zu entwickeln und umzusetzen, machen wir das auch für unser eigenes Unternehmen. Daher waren wir in der glücklichen Lage, die Anfangsphase mit den Einnahmen aus Beratungsprojekten und Vorträgen finanzieren zu können. Mittlerweile ist das Geschäft im aktuellen Stadium aus sich heraus profitabel und wir sind dabei eine Bankfinanzierung für den Produktionsaufbau auf die Beine zu stellen. Zukünftig werden wir wahrscheinlich auch Investor*innen mit ins Boot holen, um gerade durch größere Wachstumsphasen sicher zu navigieren.

Lukas: Grundsätzlich sind wir darauf aus, für jedes Vorhaben das passende Geschäftsmodell und die passende Gesellschaftsform zu finden. Vieles, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, waren eher Aufgaben einer Non-Profit-Organisation - wichtig, aber finanziell nicht aus sich selbst heraus einträglich. Diese Dinge - wie bspw. die ausschließliche Befischung von invasiven Arten in Parkgewässern - nicht mehr zu machen, wäre nicht zielführend. Diese Tätigkeiten in einer GmbH abzubilden aber ebenso wenig. Daher steht für uns in den nächsten Monaten beispielsweise die Gründung eines gemeinnützigen Vereins auf dem Plan, sodass wir für unterschiedliche Aufgaben immer die richtige Hülle haben, um sowohl was den Impact angeht als auch in Bezug auf die Finanzen nachhaltig zu wirtschaften.

Gibt es Partner oder Wegbegleitende, die für Eure Entwicklung wichtig waren? Welche Rolle haben Gründungsförderprogramme für Euch gespielt?

Jule: Eine besondere Bedeutung hatte für uns schon immer die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Instituten. Denn letztendlich basiert unser Geschäftsmodell auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und hat als übergeordnetes Ziel die Regeneration von Ökosystemen, also kurz gesprochen: Naturschutz. In unserer Kommunikation setzen wir auf die spielerische und verständliche Kommunikation komplexer naturwissenschaftlicher Zusammenhänge und daher ist die Kooperation einerseits eine wichtige Basis, andererseits profitieren auch die Institute, da wir ihre Themen breitenwirksam in die Welt tragen - unser Marketing enthält immer mindestens auch eine Prise inspirierender Wissenschaftskommunikation.

Lukas: Gerade auch Gründungsförderprogramme, wie beispielsweise das Kultur- und Kreativpilotenprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums, für das wir 2018 ausgewählt wurden, haben für uns insbesondere in der Gründungsphase eine große Rolle gespielt. Wir haben dadurch vor allem viele Kontakte und eine gewisse Sichtbarkeit bekommen. Außerdem war es hilfreich, zu Beginn einen Anlass zu haben, wirklich loszulegen. Als wir beispielsweise 2019 den Gastrogründerpreis gewonnen haben, gab es die Voraussetzung innerhalb eines Jahres auch wirklich zu gründen. Das hatten wir zwar bereits vor, aber so war nochmal mehr Dringlichkeit da. Wenn Unternehmungen noch nicht real - also erstmal nur eine fixe Idee in unseren Köpfen sind - ist es gar nicht so leicht, den Shift hinzubekommen vom „das haben wir vor“ hinzu „das machen wir jetzt wirklich!“. Dabei können Wettbewerbe, Förderprogramme und andere öffentliche Anlässe enorm helfen.

Welchen Tipp würdet ihr angehenden Gründerinnen und Gründern der essbaren Stadt mitgeben?

Jule: Unbedingt ein valides Geschäftsmodell entwickeln! Das sagt sich leider viel einfacher, als es letztendlich ist. Doch genauso wie Produkte können auch Geschäftsmodelle iterativ weiterentwickelt werden: Ausprobieren, Scheitern, Andersmachen.

Lukas: Wichtig ist, dass sich nach ein paar Monaten oder wenigen Jahren die Idee selbst trägt und auch finanziell stabil aufgestellt ist - egal ob in einem gemeinnützigen oder profitorientierten Modell. Denn auch ein Verein hat letztendlich ein Geschäftsmodell, nur eben ein in entscheidenden Punkten anderes als ein Unternehmen.

Mehr Infos zu HOLYCRAB! gibt es im Edible Cities Network Consulting Guidebook: https://ediblecitiesnetwork.com/resource/275

Edible Cities Network: https://ediblecitiesnetwork.com/

Über Jule & Lukas

Jule & Lukas Bosch nennen sich selbst Business Aktivisten - sie nutzen ihr(e) Unternehmen, um die grüne Transformation voranzutreiben. Dabei eint sie eine klare Mission: Unternehmen vom Problem für den Planeten zum Hebel für die Regeneration von Ökosystemen zu machen und dabei nicht nur erfolgreich nachhaltig, sondern nachhaltig erfolgreich zu sein. Als selbstständige Zukunftsforscher, Innovations-Berater und Speaker sorgen sie dafür, dass Nachhaltigkeit als Disruptions- und vor allem als Business-Potenzial erkannt wird und helfen Unternehmen in Sachen nachhaltige Innovation und Transformation. Gemeinsam haben sie das vielfach ausgezeichnete Biodiversity-Start-up HOLYCRAB! gegründet und das im Campus Verlag erschienene Buch “ÖKOnomie” geschrieben.

ÖKOnomie - So retten führende Unternehmensaktivist*innen unsere Zukunft www.oeko-nomie.com

HOLYCRAB!: https://holycrab.berlin/

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